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Andreas Laudert:
Abschied von der Gemeinde.
Futurum Verlag, 2011.
ISBN: 978-3-85636-223-2
207 Seiten, EUR 16,80 (ab X J.) |
Abschied von der Gemeinde? Wieso schreibt ein Priester der Christengemeinschaft ein Buch mit einem solchen Titel? Es handelt es sich um eine erfrischende, mutige und sehr persönliche Bestandsaufnahme, in der Laudert seine subjektive Wahrheit auf den Tisch legt. Seine literarische Vorerfahrung kommt ihm dabei zugute, ist aber auch Teil seiner Zerrissenheit, denn in ihm prallen sozusagen zwei Welten aufeinander, die von Theater und Literatur mit der der Anthroposophie und der Christengemeinschaft. Manche Enttäuschung, einige skurrile Begebenheiten und sinnentleerte Traditionen führt er an, um sich neu auf die Suche nach dem Ursprung zu machen, herauszuarbeiten, was Anthroposophie für ihn bedeutet: ein Leben als Kunstwerk, ein Spannungsverhältnis, Hunger nach Geist. "Es gibt nichts Neueres als die Anthroposophie", schreibt er. Was er in der Anthroposophischen Gesellschaft jedoch findet sind Klüngelei, fest gefügte Erwartungen und Traditionen, die immer wieder bestätigt sein wollen, ein Festhalten an schriftlichen Überlieferungen und einen Okkultismus, der Außenstehende ausschließt und sie zu dem Schluss kommen lässt, es mit einer Sekte zu tun zu haben. Eine Chance sieht Laudert in der radikalen Individualisierung der Anthroposophie, darin, dass man sie sich zu eigen macht, und zwar weniger durch Höherentwicklung als durch Vertiefung, mit allem Scheitern, Durchleben und Aushalten, allen Unsicherheiten und Wunden, die wirkliches Lernen und Entwickeln mit sich bringt. Die Könige haben ausgedient, nun heißt es: "Anthroposophie, das bist du selbst".
Was die Christengemeinschaft angeht, hinterfragt er manches der Entstehungsgeschichte und wünscht sich Gemeinschaft auf Augenhöhe statt Gemeinden, in denen die Mitglieder wie Kinder "versorgt" werden. Das allgemeine Priestertum ist ihm ein Anliegen und der Kultus könnte seinetwegen zugunsten des Sakraments der Beichte als Schicksalsgespräch zurücktreten. Dieser Abschied von der Gemeinde könnte sowohl zu einer Wiederbegegnung mit Steiners Werk wie auch zu einer Rückbesinnung auf die wesentliche Erfahrung des Christus als Wesenssubstanz des Ichs führen.
Ich fand Lauderts Ausführungen sehr belebend. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass er nicht destruktiv sein will, sondern als ehrlich Suchender einmal gründlich aufräumen möchte, damit das Eigentliche wieder durchscheinen kann. Eine große Irritation hat er wohl dadurch erlebt, dass seine Theater- und Literaturfreunde seine Neuorientierung nicht nachvollziehen konnten und seine Texte in der Christengemeinschaft "versandeten". Seine Art zu schreiben, etwa wenn er sich mit seinen eigenen Zweifeln unterhält, wirkt sehr authentisch.
Meine persönliche Antwort auf sein Buch ist folgende: Beim Lesen habe ich manches wieder erkannt und vieles auf den Prüfstein gelegt. Selten saß ich so aufmerksam in der Sonntagshandlung, in der Menschenweihehandlung und bei der Steinerlektüre - und selten fand ich so wahr und richtig, was ich dort fand. Wenn Laudert den Kultus abschaffen will: gerade dort, in diesem allerpersönlichsten Innenraum kann doch der Einzelne ganz bei sich und reinste Individualität sein, während zugleich ein freies gemeinsames geistiges Mitvollziehen stattfindet. Hier wird die Christusbegegnung zum Ausgangspunkt des allgemeinen Priestertums. Es gibt nichts Zukünftigeres als den Kultus. Ich hoffe, Lauderts Buch trägt nicht dazu bei, die Gemeinde abzuschaffen, aber manchen alten Zopf abzuschneiden, damit wir unsere Köpfe wieder höher tragen können. Dann sind wir auch von innen heraus so überzeugend, dass Andere auf uns aufmerksam werden.