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Thomas Hardtmuth:
Denkfehler.

Amthor, 2006.
ISBN: 3-934104-25-8
244 Seiten, EUR 19,80 (ab - J.)

Ist der Mensch tatsächlich nicht mehr als ein Haufen Neurone? Der Weg eines Reizes zum Gehirn läßt sich letztendlich darauf reduzieren, dass das Membranpotential einer Nervenzelle zusammenbricht und das dabei entstehende Aktionspotential die nächste Zelle aktiviert. Seltsamerweise vermag eine einzelne Nervenzelle ja nicht mehr, als einen Anstoß einfach weiterzugeben, wobei es ihr gleichgültig ist, ob es sich um einen schmerzhaften Schnitt in den Finger oder um Brötchenduft handelt. Was im Gehirn ankommt, ist eine Fülle von scheinbar chaotisch kreisenden bioelektrischen Impulsen, die dennoch im Zusammenklang ein Erlebnis für den Menschen bilden. Welche Instanz ist es, die am Ende alles wieder zusammenführt?

Die Hirnforschung steht hilflos vor dem Gehirn-Geist-Problem, nachdem sie Mensch und Materie auseinander definiert hat. Die Existenz eines Ichs, das ja in der Tätigkeit lebt, wird negiert, da sie nicht nachweisbar ist, und man beruft sich auf die Versuche Libets, der "Bereitschaftspotentiale" entdeckte, die bereits vor dem Bewußtwerden einer Handlungsabsicht meßbar sind, und leitet daraus eine grundsätzliche Determiniertheit des Menschen ab. Doch letzten Endes führt sich der aktuelle "Neuroturn" durch seine kategorischen Systemfehler und seine unsauberen mechanistischen Erklärungsmodelle selbst ad absurdum, vor allem wenn er sich selbstreflexiv ins Visier nimmt. Woher haben die Gene und einzelnen Zellen denn ihr Wissen um den Zusammenhang, in den sie eingebettet sind, so dass die unglaublichen Reparaturmechanismen und Anpassungsleistungen zustande kommen können, die sich in der Natur beobachen lassen? Anhand der Evolution zeigt Hardtmuth die zunehmende Umweltabgrenzung des menschlichen Entwicklungsraumes und wie sich innerhalb dieses evolutiven Prinzips Gehirn und Immunsystem als Grundlagen menschlicher Autonomie herausbilden. Im Gehirn, wo durch permanente biologische Abbauvorgänge bzw. Todesprozesse die "Lebenskräfte" als Bewußtsein metamorphosiert erscheinen, kommen alle Bewegungsvorgänge zur Ruhe. Reiz und Reaktion werden für einen Moment entkoppelt, wodurch Freiheit entsteht. Am Beispiel von Auge und Ohr stellt der Autor dar, dass die Sinnesorgane Metamorphosen des Gehirns sind. Mit rein phänomenologischer Herangehensweise gelingt es ihm erlebbar zu machen, wo der Geist wirkt ohne dabei tatsächlich in Erscheinung zu treten. Ähnlich der Chladnischen Klangfiguren lassen sich rhythmisch-synchrone Erregungsmuster als Bewußtseinskorrelate feststellen, die zum Geist in der selben Beziehung stehen wie die neurophysiologischen Vorgänge auf unserer Augennetzhaut zum Licht. Interessanterweise ist die Netzhaut ein nach außen gestülpter, spezialisierter Teil der Großhirnrinde.

Hardtmuth schreibt nicht polemisch sondern völlig sachlich und tatsachenorientiert. Seine menschenkundlichen Beobachtungen sind von einer faszinierenden Genauigkeit, die das Staunen anregt. Ein klarer, schlüssiger Aufbau und viele lebensnahe Bezüge tragen zur Lesbarkeit und zum Verständnis seiner komplexen Ausführungen bei. Beim Lesen dieses Buches verbraucht das Gehirn wohl einiges an Zucker, dafür bietet es einen Zuwachs an Bewußtsein, der für die Hirnforschung eine wesentliche Ergänzung ihrer Arbeit und für Nicht-Mediziner eine hochinteressante Bereicherung darstellt.


© by Ulrike Schmoller
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