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Tobias Kühne:
Johanna.
Urachhaus, 2004.
ISBN: 3-8251-7467-0
104 Seiten, EUR 14,50

1962 wird Johanna als gesundes Mädchen geboren. 1964 erfolgt die Pockenimpfung. Das kleine Mädchen erkrankt infolge der Impfung an Encephalitis und aus dem Leben des vormals gesunden Kindes wird das Leben eines Menschen mit einer Behinderung. Johanna bleibt geistig auf dem Stand eines zwei- bis dreijährigen Kindes stehen und lebt 38 Jahre lang innig geliebt und umsorgt im Kreis ihrer Familie. Wer selbst in einer Familie mit einem behinderten Geschwisterteil aufgewachsen ist wie ich, nimmt dieses Buch als ein großes Geschenk an. Es ist ein Dokument tiefster Liebe zu einem Menschen. Nicht zu einem behinderten Menschen, sondern zu einem besonderen Menschen. Johanna sieht die Welt mit ihren Augen, es ist eine Welt der Töne, der Klänge, der minimalen Fortschritte. Das Buch legt Zeugnis ab von vielen Tagen mit Johanna innerhalb der Familie, von ihrem Alltag, von ihren Sorgen und Nöten und von der Tatsache, dass Johanna durch ihr So-Sein ihre Familie dazu bringt, die Welt anders zu sehen. Es wird aber auch deutlich, wie anstrengend so ein Leben sein kann - dauernd muss aufgepasst werden, dass Johanna nichts passiert und was so eine permanente Anspannung auch bedeutet, weiß nur, wer es aus eigener Anschauung kennt oder jemand, der dieses Buch aufmerksam liest.
Johanna kennt das Böse nicht, sie lebt ganz in der Harmonie und fordert das auch von ihrer Familie - Harmonie, Ordnung und Liebe, der Kosmos, in dem sich Johanna bewegt und der auch die Familie reich beschenkt, wenn sie sich auf die Koordinaten des neuen Systems einlässt.
Tagebuchnotizen und Briefe an die Großeltern leiten das Buch ein. Wir Leser nehmen teil an Johannas schwerer Erkrankung und erleben aus Sicht der Mutter mit, wie sie um das Leben der Tochter bangt und wie sich Johanna im Folgenden entwickelt. Die wachsende Familie macht es der Mutter unmöglich, weiter ausführlich Tagebuch zu schreiben, doch Katharina, Johannas Schwester, nimmt sich für ihre Jahresarbeit an der Waldorfschule die Betreuung ihrer Schwester vor. So begleitete sie ein Jahr lang besonders intensiv und mit eigenen Ideen und Vorstellungen ihre Schwester. Das Buch legt davon Zeugnis ab. In diesem Jahr hat Katharina sehr viele Facetten aus dem Leben mit Johanna aufgezeichnet.
Die Aufzeichnungen, ursprünglich als Privatdruck gedacht, sind ein berührendes Dokument einer Familie, die aus vollem Herzen die besondere Aufgabe dieses Lebens angenommen hat. Nach Johannas Tod kann Vater Tobias Kühne in der Rückschau sagen: "Wenn wir heute auf Johannas Leben zurückblicken, empfinden wir dankbar, dass sie uns durch die Wärme ihres sonnigen Wesens viel mehr gegeben hat, als sie je von uns erhalten konnte." Diesen Satz können mit Sicherheit alle Eltern und Geschwister besonderer Menschen bejahen. Es ist ein unglaublich hartes Los, den Alltag mit behinderten Menschen jeden einzelnen Tag und auch die Nächte durchzutragen. Aber was auf der anderen Seite an Liebe, an Zuneigung, an die Welt hochwerfender Freude, an Beseeltheit über die Familie wie ausgegossen wird, ist eine Lebenserfahrung, die man wie einen Ritterschlag annehmen darf.
Besonders schön sind die eingefügten Bilder von Johanna, die ein paar Facetten dieses ungewöhnlichen Menschen zeigen und den Leser durch die Lebensfreude Johannas tief berühren.


© by Christine Krokauer
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