Marc Mauguin: Die Wartenden. Freies Geistesleben, 2019.
ISBN: 978-3-7725-3012-8
192 Seiten, EUR 23.--
Edward Hopper malte die Bilder in diesem Buch in
Amerika in den 1930er bis 60er Jahren. Auf der Halbinsel Cape Cod
befindet sich ein kleines Universum, in dem man sich (vielleicht zu
gut) kennt und die Schicksalsfäden eng miteinander verwoben sind. Die
gesellschaftliche Etikette und die Moral schaffen eine Fassade, unter
der Eifersucht, Demütigung, Kränkungen und Gemeinheiten,
Vergänglichkeit, Verachtung und Einsamkeit brodeln. Es gilt den Schein
des Reichtums und des Ansehens zu wahren und den darunter liegenden
Abgrund gekonnt zu verbergen. Edward Hopper hat mit seinen Bildern
Momentaufnahmen geschaffen, in denen er diesen verhalten und frostig
offen legt. Seine Menschen erscheinen klein zwischen großen Flächen in
kühlen Farben. Marc Mauguin hat einige der Porträts für sich sprechen
lassen und sie in klassischen Kurzgeschichten weiter gesponnen. Er
stellt uns die abgebildetetn Menschen vor und bettet sie in eine
mögliche Biografie ein, die er nah an den Bildern abliest. Im Rückblick
erweckt er Erinnerungen wieder auf, die sich aus den zu sehenden
Details ergeben. Die Kapitelüberschriften benennen Kunsttechniken oder
Begriffe aus der Malerei und der letzte Satz bringt die zu erwartende
überraschende Wendung. Die einzelnen Schicksale sind dabei miteinander
verquickt, so dass wir Personen und Namen aus ganz anderer Perspektive
wieder begegnen und sich ein unsichtbares Netz ergibt, in dem sie alle
zappeln. Jedes Bild und jede Geschichte haben ihre ganz eigene Stimmung
und ihren besonderen Charakter. Schonungslos und grobflächig malt
Hopper die Gesichter der Menschen, die ihr wahres nicht zeigen wollen
und der Autor tut das seine, ihre Wunden ans Licht zu holen und sie zu
offenbaren. Dadurch kehrt Ehrlichkeit und etwas wie Friede ein und so
ist eine hoch verdichtete Kurzgeschichtensammlung entstanden, die den
Leser als Voyeur mit leichter Gänsehaut sowie mit uneingeschränkter
Bewunderung zurücklässt.