Auch
am Ende ihres Lebens ist Else Lasker-Schüler noch genau so
unkonventionell, leidenschaftlich für das Gute engagiert,
energiegeladen und mit ihrer eigenen Phantasiewelt verbunden wie in
ihren jungen Jahren, freilich aber auch erschöpft und einsam mit
ihren vielen Verlassenheiten. Da hilft es manchmal auch nicht, wenn
ihre Freunde einen Helferdienstplan aufstellen, damit immer einer im
Blick hat, ob sie gerade ihr Geld verschenkt oder durch ein Fenster
steigt, um eine Einladung zu einer ihrer Lesungen abzugeben, aber
auch um die schlimmen Nachrichten aus Deutschland von ihr fern zu
halten. Sie, die sich immer der Gleichgültigkeit verwehrt hat,
empört sich löwenmäßig darüber, dass Schiffe mit Flüchtlingen
nicht an Land gelassen werden, so dass sich immer wieder
unmenschliche Tragödien abspielen. Dann ist sie wieder ganz jung und
spielt mit der zehnjährigen Meira mit bunten Glastieren. Aber was
ihr am meisten am Herzen liegt ist ihr Wunsch, sich noch einmal zu
verlieben und dadurch noch einmal Liebesgedichte schreiben zu können.
Doch wer könnte der Richtige sein? Ihre Wahl fällt auf den
Fast-Professor Ernst Simon, der zwar kein Tigerblut in sich trägt
und so alt ist wie ihr Sohn, jedoch der passende Adressat für ihre
reife Augen- und Herzensliebe ist. Für ihn schreibt sie ihren
letzten Gedichtband „An ihn“. War sie eben noch betrübt darüber,
dass jeder Mensch für sich alleine in seine Haut eingenäht wird,
lässt sie sich nun ihre dünne alte Haut wie ein königliches Gewand
aus Pergament von ihrem Geliebten beschreiben. Der Literaturstudent
Tasso steht ihr die ganze Zeit hilfreich zur Seite und verarbeitet
rückblickend die drei Kladden, die er von Else Lasker-Schüler
erhalten hat. So stehen die Einträge aus den Kladden neben Tassos
Berichten, immer wieder mit Originalzitaten der Dichterin versehen.
Weder die Kladden noch Tasso hat es wirklich gegeben. Durch das
Vermögen Christa Ludwigs, sich in Else Lasker-Schülers Wesen und
ihre Sprache hinein zu fühlen und diese weiter zu führen, schafft
sie ein vielschichtiges Lebensbild, das voller Intensität und
Überraschungen steckt. Auf hohem sprachlichem Niveau verschränken
sich die Gedichtzitate und belegten Fakten mit der Neuschöpfung der
Autorin. 2019 erhielt Christa Ludwig den Eichendorff-Literaturpreis
für dieses Buch.