Clemens Maria Heymkind: Schattenkind, vergiss mein nicht. Urachhaus, 2018.
ISBN: 978-3-8251-5154-6
300 Seiten, EUR 22.--
Dies ist die Fortsetzung des Buches „Verloren im Niemandsland“, in dem Clemens Maria Heymkind seine ersten traumatischen Lebensjahre in einem katholischen Kinderheim beschreibt. Mit 12 Jahren kann er dieser Hölle gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Clara entkommen und Aufnahme im Pestalozzi-Kinderdorf Wahlwies finden. Hier findet er zum ersten Mal ein herzliches Willkommen und Akzeptanz, selbst wenn sein Verhalten unangemessen ist. Seinem Bettnässen wird mit Verständnis statt mit Ausgrenzung begegnet und wenn er einen Blackout hat und seine Aggressionen über ihn hereinbrechen, bekommt er die Gelegenheit zur Wiedergutmachung. Immer wieder leidet er unter Flashbacks und fühlt sich ohnmächtig seinen Erinnerungen an die peinigenden Strafen von „Schwester C.“ ausgeliefert. Im Kinderdorf kann er langsam vertrauen fassen und seine Selbstzweifel überwinden. Die klare Tagesstruktur, die Gestaltung der Jahresfeste, gemeinsame Ausflüge und therapeutische Angebote helfen ihm bei seinem Kampf um innere Heilung. Bei Besuchen seiner Eltern kann er sich auch mit seiner Beziehung zu ihnen auseinandersetzen und schließlich seinen Frieden mit ihnen finden. Nachdem er als Jugendlicher tüchtig über die Stränge geschlagen hat, schließt er Lehre und Studium erfolgreich ab und gründet selbst eine Familie. Schließlich nimmt er auch mit Schwester C. Kontakt auf, konfrontiert sie mit ihren Taten und kann so endlich Abschied von ihr nehmen. Seine Bemühungen, die Missbrauchsfälle eines anderen Mitarbeiters zur Anzeige zu bringen, damit er nicht noch weiteren Kindern schaden kann, laufen jedoch ins Leere. Am Ende ist es ihm gelungen, seine Traumata zu verarbeiten und sein Schattenkind als Teil seines Selbstes zu integrieren.
Eine literarische Bearbeitung darf man von dieser Autobiographie nicht erwarten, jedoch einen direkten und ungeschönten Bericht der Missstände im Kinderheim und ihrer seelischen Folgen aus der Innensicht eines Geschädigten. Immer wieder werden Aktennotizen und Jugendamtsberichte eingeschoben, die das Bild aus einer anderen Sichtweise objektivieren. Der Autor reflektiert sein Verhalten und seine Emotionen und bleibt dabei authentisch ohne sich sprachlich oder ironisch zu distanzieren. Dass dabei auch Banalitäten zur Sprache kommen oder es mal zu gefühlsduselig wird, trübt nicht das Gefühl der Dankbarkeit, dass er uns an seinem Schicksal und seiner Aufarbeitung teilhaben lässt. Es ist zu hoffen, dass er damit viele Leidensgenossen ermutigen kann, darüber zu sprechen und es gelingt, den Missbrauch weiter einzudämmen. Für Erzieher und Therapeuten bietet dieses Buch die Chance, sich mitfühlend mit einem Betroffenen zu verbinden und dadurch an Empathie zu gewinnen.