LITTERULA ‑ REZENSIONEN von Dipl. Bibl. Ulrike Schmoller ‑ www.litterula.de © www.litterula.de
Worin
unsere Stärke besteht

Reinhard Stähling/Barbara Wenders:
Worin unsere Stärke besteht.

Psychosozial-Verlag, 2021.
ISBN: 978-3-8379-3122-8
590 Seiten, EUR 54,90

Kann es funktionieren, dass ausnahmslos alle Kinder eines Stadtteils von der ersten Klasse bis zum Schulabschluss erfolgreich die gleiche Schule besuchen? Wie kann Lernen funktionieren, wenn Kinder mit den unterschiedlichsten Startbedingungen gemeinsam unterrichtet werden sollen? Die Primus-Schule in Berg-Fidel in Münster ist inzwischen weithin als Best-Practice-Beispiel für inklusive Modellschulen im sozialen Brennpunkt bekannt. Als Ganztags- und Gemeinschaftsschule ohne Auslese bietet sie den Kindern einen Lernort, an dem sie angstfrei, solidarisch und expansiv in ihrem Tempo lernen können und dabei überraschend gute Abschlüsse erzielen. An der Arbeit am „gemeinsamen Gegenstand“ beteiligt sich jedes Kind auf seinem Entwicklungsstand, wobei sich in der altersgemischten Gruppe eine natürliche Kraft bildet, durch die die Kinder über ihr eigenes Potential hinaus wachsen können. Im Freien Forscher Club können sie ihre ganz eigenen Themen verfolgen, in der Schriftstellerstunde das Freie Schreiben üben oder sich ihren persönlichen „Herausforderungen“ stellen. In Klassenräten wird das Lernen reflektiert und über Konflikte gesprochen. Der Schulleiter Reinhard Stähling und die Lehrerin Barbara Wenders lassen uns durch ihr praxisnahes Berichten an ihrem Schulalltag teilhaben. Immer wieder gibt es Blöcke, in denen sie sozusagen in die Schuhe eines Kindes schlüpfen und aus dessen Sicht erzählen. So kann man sich alles sehr gut vorstellen und sich ein Bild machen. Darüber hinaus zeigen sie, wie sie trotz begrenzter Ressourcen schulinterne Entlastungen implementieren konnten und wie gerade aus der Heterogenität der Lerngruppen ein Zuwachs an Anregungen entsteht. Sie entkräften das Vorurteil, dass nur mit einer „guten Mischung“ und einer möglichst homogenen Lerngruppe, die sich nur durch Abschiebung das „harten Kerns“ in Sonderschulen gewährleisten lässt, Unterricht möglich ist. Die Schwächen unseres mehrfach gegliederten Schulsystems werden samt ihrer historischen und politischen Einordnung deutlich benannt und ihnen die Pädagogik der Befreiung nach Paolo Freire entgegen gestellt. Wie das Recht auf Teilhabe, das in der UN-Konvention festgeschrieben ist, offensichtlich und subtil verhindert wird und was getan werden müsste, damit sich die Struktur unseres Schulsystems grundlegend wandeln kann, zeigt auch in Interview mit Georg Feuser über die Entwicklung der Inklusion in Bremen. Eine Ausrede, warum die wohnortnahe Inklusion Aller nicht funktioniert, kann es nach diesem Buch nicht mehr geben. Während sich einige Rahmenbedingungen mit denen der Waldorfschulen decken, ist es doch hochinteressant, einmal über den Tellerrand zu schauen, welche anderen Konzepte es gibt und wie sie funktionieren. Ein wichtiges Buch für alle, denen die konsequente Umsetzung der Inklusion am Herzen liegt und ein Plädoyer für die Heterogenität.

© by Ulrike Schmoller
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