Kann
es funktionieren, dass ausnahmslos alle Kinder eines Stadtteils von
der ersten Klasse bis zum Schulabschluss erfolgreich die gleiche
Schule besuchen? Wie kann Lernen funktionieren, wenn Kinder mit den
unterschiedlichsten Startbedingungen gemeinsam unterrichtet werden
sollen? Die Primus-Schule in Berg-Fidel in Münster ist inzwischen
weithin als Best-Practice-Beispiel für inklusive Modellschulen im
sozialen Brennpunkt bekannt. Als Ganztags- und Gemeinschaftsschule
ohne Auslese bietet sie den Kindern einen Lernort, an dem sie
angstfrei, solidarisch und expansiv in ihrem Tempo lernen können und
dabei überraschend gute Abschlüsse erzielen. An der Arbeit am
„gemeinsamen Gegenstand“ beteiligt sich jedes Kind auf seinem
Entwicklungsstand, wobei sich in der altersgemischten Gruppe eine
natürliche Kraft bildet, durch die die Kinder über ihr eigenes
Potential hinaus wachsen können. Im Freien Forscher Club können
sie ihre ganz eigenen Themen verfolgen, in der Schriftstellerstunde
das Freie Schreiben üben oder sich ihren persönlichen
„Herausforderungen“ stellen. In Klassenräten wird das Lernen
reflektiert und über Konflikte gesprochen. Der Schulleiter Reinhard
Stähling und die Lehrerin Barbara Wenders lassen uns durch ihr
praxisnahes Berichten an ihrem Schulalltag teilhaben. Immer wieder
gibt es Blöcke, in denen sie sozusagen in die Schuhe eines Kindes
schlüpfen und aus dessen Sicht erzählen. So kann man sich alles
sehr gut vorstellen und sich ein Bild machen. Darüber hinaus zeigen
sie, wie sie trotz begrenzter Ressourcen schulinterne Entlastungen
implementieren konnten und wie gerade aus der Heterogenität der
Lerngruppen ein Zuwachs an Anregungen entsteht. Sie entkräften das
Vorurteil, dass nur mit einer „guten Mischung“ und einer
möglichst homogenen Lerngruppe, die sich nur durch Abschiebung das
„harten Kerns“ in Sonderschulen gewährleisten lässt, Unterricht
möglich ist. Die Schwächen unseres mehrfach gegliederten
Schulsystems werden samt ihrer historischen und politischen
Einordnung deutlich benannt und ihnen die Pädagogik der Befreiung
nach Paolo Freire entgegen gestellt. Wie das Recht auf Teilhabe, das
in der UN-Konvention festgeschrieben ist, offensichtlich und subtil
verhindert wird und was getan werden müsste, damit sich die Struktur
unseres Schulsystems grundlegend wandeln kann, zeigt auch in
Interview mit Georg Feuser über die Entwicklung der Inklusion in
Bremen. Eine Ausrede, warum die wohnortnahe Inklusion Aller nicht
funktioniert, kann es nach diesem Buch nicht mehr geben. Während
sich einige Rahmenbedingungen mit denen der Waldorfschulen decken,
ist es doch hochinteressant, einmal über den Tellerrand zu schauen,
welche anderen Konzepte es gibt und wie sie funktionieren. Ein
wichtiges Buch für alle, denen die konsequente Umsetzung der
Inklusion am Herzen liegt und ein Plädoyer für die
Heterogenität.