Was geht im Kopf eines magersüchtigen Mädchens
vor sich? Für Außenstehende ist es nur schwer nachvollziehbar warum sich ein
Mensch zu Tode hungert, obwohl er doch am reich gedeckten Tisch sitzt und warum
er nicht einfach vernünftig ist und zugreift. Das besorgte Zureden der Eltern
verstärkt noch das Bedürfnis nach Abgrenzung und das Gefühl, im Hungern endlich
einen eigenen Bereich gefunden zu haben, in den keiner hineinreden kann, der
ganz allein in der eigenen Macht liegt. Je größer die Kontrolle, desto intensiver
wird das Hochgefühl erlebt, alles im Griff zu haben. Jede Nahrungsaufnahme wird
als Niederlage erlebt, die Krankheit als sicherer Rahmen, das Dünnsein als einzige
mögliche Existenzform, die allerdings gegen Null geht und in vielen Fällen zum
Tod führt. Hilfe anzunehmen ist deshalb so schwierig, weil sich der Realitätsbezug
vollständig verändert, das Körperschema sich verschiebt und eine große innere
Zerissenheit auftritt. Ein kompliziertes System aus Lügen, Heimlichkeiten und
Tricks sich selbst und der Umwelt gegenüber dient einzig dem Zweck, die Sucht
aufrecht zu erhalten, sich an der Krankheit festzuklammern, selbst wenn die
Einsicht da ist, dass es so nicht weitergehen kann. Nur mit professioneller
Hilfe, und auch dann nur, wenn die Betroffene wirklich selbst bereit ist, etwas
zu verändern, kann die Freude am Leben und am Essen, am eigenen Körper durch
die aktive Beschäftigung mit der eigenen Biographie wieder in kleinen mühsamen
Schritten erlernt werden. Oft dauert es lange, bis eigene Bedürfnisse wahrgenommen
und ohne Schuldgefühle verwirklicht werden können.
Lena S. hat das alles 10 Jahre lang durchgemacht. Mit erstaunlicher Reflektionsfähigkeit erzählt sie auf diesem Hörbuch über 4 Stunden lang von ihrer Magersucht und den Hintergründen. Sie gibt uns einen Einblick in ihre Gedankenwelt, in ihre Not und schildert ihre Kämpfe mit dem Ziel, anderen Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht allein sind und Angehörigen und Therapeuten zu vermitteln, wie sich ein magersüchtiger Mensch fühlt.
So persönlich ihr Schicksal ist, leuchten durch ihre Erfahrungen doch auch Gesetzmäßigkeiten
dieser Krankheit hindurch. Dass Lena ihr Tagebuch als Hörbuch selbst vorliest,
sachlich und in der Rückschau, und sich direkt warnend und verstehend an die
Betroffenen richtet, macht es noch nahegehender als das Buch, das es ebenfalls
gibt.. Man muss allerdings wissen, dass die CD im mp3-Format abgespeichert ist
und entweder über ein entsprechendes Abspielgerät verfügen oder es am Computer
hören. Das hat mich ziemlich genervt und den Kurzfilm habe ich bis heute nicht
aufbekommen. Dass ich trotz der technischen Widrigkeiten bis zum Schluß dabeigeblieben
bin beweist, dass Lenas Geschichte wirklich interessant und hilfreich ist.