LITTERULA ‑ REZENSIONEN von Dipl. Bibl. Ulrike Schmoller ‑ www.litterula.de
Anne Flemming: Ziegen bringen Glück. Carlsen, 2019.
ISBN: 987-3-551-55382-9
158 Seiten, EUR 10,99 (ab 10 J.)
Eine Ziege auf einem Hochhausdach mitten in New
York? Nein, das kann es nicht geben. Aber wer frisst dann immer das
Weizengras von Doris Fenniford ab? Und schmuggelt Kenneth das Heu
tatsächlich für seine Meerschweinchen ins Haus? Die elfjährige Kid ist
mit ihrer Familie neu ins Haus gezogen. Sie spricht nicht gerne mit
Fremden. Sie freundet sich mit Will an, der seine Eltern an 9/11
verloren hat, keine Fenster ertragen kann und beim Sprechen immer die
Buchstaben verdreht. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach der
mysteriösen Ziege auf dem Dach, die angeblich sieben Jahre Glück
verspricht. Das können sie beide brauchen. Sie beginnen die anderen
Bewohner zu befragen, ob sie etwas gesehen haben. Da sind Jonathan, der
nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen kann, Joff, ein blinder
Autor mit Schreibkrise und Skateboard, Kenneth, der seinen Vater
verloren hat und viele mehr, deren Geschichte wir erfahren. Jeder hat
sein Päckchen zu tragen und knabbert auf seine Art an seinem Leben
herum. Über die Ziegensuche finden sie alle zusammen und kommen aus
ihren Türen heraus. Auf einmal sind die eigenen Probleme gar nicht mehr
so wichtig und je mehr die Geschichte an Fahrt aufnimmt, desto mehr
wächst jeder einzelne über sich hinaus.
Es wird nacheinander aus der Sicht der verschiedenen Personen erzählt,
auch aus der der Ziege übrigens, wodurch sich lustige Überschneidungen
und Widersprüche ergeben. Jeder der Hausbewohner hat seinen blinden
Fleck, der ihn besonders und auf seine Art liebenswert macht. Die
Autorin lässt sich Zeit, uns alle in Ruhe vorzustellen um dann mit
feinem und skurrilem Humor die Begegnungen zu entwickeln und einen
unglaublichen Showdown hinzulegen. Szenen wie die Story über die die
vom Himmel fallende Ziege oder das Zusammentreffen des Blinden und des
Stummen im Fahrstuhl bringen einen unweigerlich zum Schmunzeln. Die
Ziegenbilder von Philipp Waechter sind sowieso unschlagbar. Wenn einer
Autorin die Synthese von Humor, innerer Weiterentwicklung und seltsamen
Begebenheiten so gut gelingt, kann man sie nur beglückwünschen.