Literarisch gesehen, ist Hilde Kähler-Timms Buch „Eulenmond"
eine Novelle. Als Rahmengeschichte haben wir ein Mädchen unserer Tage, das mit
ihrer Mutter und deren Freund unterwegs ist und eine Rast macht. Das Mädchen findet
eine Brosche mit einer Gravur und nun entfaltet sich die Geschichte von Josie,
die dieses Schmuckstück einst von ihrer Großmutter im Jahr 1849 bekommen hat.
Es ist eine spannende Erzählung über das Leben in einem Siedlertreck, der von
Independence (Kansas City) unterwegs ist nach Fort Walla Walla, quer durch die
Vereinigten Staaten und vor allem mitten durch Indianerland. Josies Mutter ist
gestorben und nun reist sie mit ihrem Vater und den beiden Brüdern. Eines Tages
kehren die drei nicht mehr von der Jagd zurück. Während der Treck weiterzieht,
bleibt Josie beim Planwagen in dem kleinen Tal, denn darauf befindet sich der
gesamte Besitz der Familie. Rasch wird klar, dass etwas passiert sein muss und
Josie ist klug genug zu begreifen, dass sie sich auf den Winter in diesem Tal
gefasst machen muss. Ohne Dach über dem Kopf ein tödliches Unternehmen, das ist
dem Mädchen bewusst. Zwar hat sie vieles auf der Reise gelernt, aber es ist ein
Unterschied, ob man gemeinsam mit Erwachsenen zusammenarbeitet oder die Verantwortung
alleine trägt. Eine Hütte zu errichten übersteigt fast Josies Fähigkeiten, doch
es gelingt ihr.
Sie bleibt nicht unbeobachtet, eine Indianerfamilie lässt sich in der Nähe nieder,
Josie bemerkt sie nicht. Die Indianer halten Josie für einen jungen Weißen und
rechnen nicht damit, dass er den extremen Winter lebend übersteht. Als ein Puma
Josie angreift, rettet ihr ein Indianer das Leben, und als mit der Schneeschmelze
die Hütte zerstört und Josie klatschnass wird, passiert das, wovor sie den ganzen
Winter am meisten Angst hatte: Josie wird schwer krank. Eine Indianersqaw rettet
sie und so bemerken die Indianer, dass Josie ein Mädchen ist. Der Respekt vor
ihr wächst erheblich, denn Josie hat ihn überlebt, diesen entsetzlich kalten,
vor allem aber unglaublich einsamen und gefährlichen Winter im Tal. Die Indianer
bringen Josie ins Fort, zu dem der Treck unterwegs war; sie ist angekommen, alleine,
ohne ihre Familie und sie hat gelernt, zu überleben und zu vertrauen.
Ausgehend von einer authentischen Geschichte über ein Mädchen namens Janette Riker,
die einen Winter in einem Tal verbrachte und von Cayusen-Indianern gerettet wurde,
hat Hilde Kähler-Timm mit eindrucksvollen Bildern die Landschaft und die unglaubliche
Härte gezeichnet, die auf den Menschen einstürzt, wenn er in dieser Gegend alleine
einen Winter überstehen soll. Josie trotzt den Gefahren, sie gibt niemals die
Hoffnung auf, und so bleibt die Geschichte bis zum Ende spannend. Nebenher erfährt
der Leser sehr viel über den Oregon-Trail, dem im 19. Jahrhundert Abertausende
von Siedlerfamilien folgten, um im Westen das Gelobte Land am Stillen Ozean zu
erreichen, aber auch über das Leben der Indianerfamilien, durch deren Land dieser
Trail führte.