Mirjam Pressler: Die Zeit der schlafenden Hunde.
Beltz und Gelberg, 2003.
ISBN: 3-407-80912-3
272 Seiten, EUR 14,90 (ab 14 J.)
Es soll eine Dokumentation für die Schulzeitung werden: Portraits
von acht ehemaligen Schülerinnen, die in der Nazizeit auswandern mußten und heute
in Israel leben. Für Johanna wird die Exkursion dorthin zu einer Reise in ihre
eigene Familiengeschichte, denn sie erfährt dort, dass das angesehene Modehaus,
das ihr Großvater aufgebaut hat, früher zwei jüdischen Geschäftsleuten gehörte.
Nun sitzt Johanna Frau Levin gegenüber, die damals alles aufgeben musste ohne
eine Entschädigung dafür zu bekommen. Zuhause fängt sie an nachzufragen. Der Großvater
kann ihr nicht mehr antworten, weil er Selbstmord begangen hat, der Vater sperrt
sich wütend gegen ihre Angriffe und keiner weiß, was 1960 der Grund für den Freitod
ihrer Großmutter war. Was ist mit der Kaufsumme geschehen, welche Rolle spielte
ihr Großvater in der Partei und wie soll sie mit ihrem eigenen geerbten Geld umgehen,
das offenbar nicht ganz ehrlich verdient wurde? Im Nachhinein tauchen im Leben
ihres geliebten Großvaters einige Schatten auf, die Johanna wie schlafende Hunde
weckt und auch dem Vater in aller Deutlichkeit vor Augen führt, ein schmerzvoller,
klärender Prozess, doch am Ende der einzige Weg, der aus der Schuld in eine neue
Freiheit führt. Johanna macht er erwachsen. Sie stellt sich als erste in der Familie
der Vergangenheit und besteht darauf, dass, was nicht mehr ungeschehen gemacht
werden kann, wenigstens nicht mehr totgeschwiegen wird. Woran mag es liegen, dass
dieses Buch solche Längen hat und an vielen Stellen nur die Oberfläche streift?
Die Begegnung mit Frau Levin ist kurz, die mit ihrem Enkel noch kürzer, ihr Freund
Daniel mehr körperlich anwesend als seelisch, nicht einmal die Konfrontation mit
ihrem Vater wird überzeugend dramatisch. Die posthumen Annäherungen Johannas an
ihren Großvater hingegen sind gut herausgearbeitet wie auch Johanna über ein reiches
Innenleben verfügt, wovon ihre dahinfließenden Gedanken und Dialoge zeugen. Dieses
Buch Mirjam Presslers bleibt kühl im Vergleich zu ihren letzten Werken, distanzierter,
auch politischer und wird damit auf einer anderen Ebene lesenswert.