Hermann Schulz: Flucht durch den Winter.
Carlsen, 2003.
220 Seiten, EUR 13 (ab 13 J.)
Geschichten, die vom menschlichen Überlebenskampf in einer
sogenannten feindlichen Umwelt handeln (also Natur meinen), üben eine eigene Faszination
aus, sei es als Buch oder als Film. Dies gilt auch für diese "Flucht durch den
Winter".
Der Winter ist der des Jahres 1945 in Deutschland, die Flüchtenden sind zwei Jugendliche,
ein russischer Zwangsarbeiter und ein deutsches Mädchen, dessen Eltern in den
Wirren des Krieges verschwunden sind. Ännchen wird zu Bauern in die Lüneburger
Heide geschickt, von dort verhilft sie Sergej, der von der SS abgeholt werden
soll, zur Flucht. Aus der Fluchthilfe wird eine Mitflucht. Zweiundsechzig Tage
wandern die beiden, verfolgt und gesucht, durch das Land, verstecken sich, organisieren
ihr Überleben. Und dies bedeutet immer wieder den Mut, eine Entscheidung zu treffen
und die Frage "Können wir diesem Menschen vertrauen"? zu beantworten. Die Situationen
und Empfindungen werden in einer unprätentiösen, schlichten und klaren Sprache
geschildert. Sie bewahrt das Buch einerseits vor Sentimentalität und lässt andererseits
auch die schwierigsten Begebenheiten beschreibbar und lesbar werden. Eine Seite
des Krieges wird zur lebendigen, ganz dichten und berührenden Darstellung gebracht.
Mag auch eine Situation in sich nicht schlüssig sein - so etwa Ännchens überraschender
Entschluss, mit auf die Flucht zu gehen -, so entspricht dies der Bewegung, wie
Leben sich auch ereignen kann - ohne Logik, jenseits des Verstandes, einer Intention
folgend, die nicht bis ans Bewusstsein rührt.
Die Herausforderung des Erwachsenwerdens ist hier durch die Zeit und äußere Umstände
gesteigert, und doch wird ein jugendlicher Leser sich und seine Fragen in dieser
außergewöhnlichen Erzählung gespiegelt finden.