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Christa Ludwig:
Blitz ohne Donner.

Freies Geistesleben, 2003.
200 Seiten, EUR 14,50 (ab 13 J.)

„Warum gehst du nicht in seine Welt?", wird Maria von Johannes Mutter Sophia gefragt. „Er ist auch ohne Musik glücklich." Weil ich ihn doch so wahnsinnig lieb habe, sagt sich Maria und setzt alles daran, dem Gehörlosen Johannes zu zeigen wie sich Musik anfühlt. Sie tanzt für ihn Romeo und Julia, nimmt ihn mit zur Ufer-Disko und sucht nach dem Musikstück, das seine Mutter in der Schwangerschaft gehört hat, in der Hoffnung, dass er sich erinnert. Johannes fühlt das Vibrieren der Bässe, empfindet das Schwingen der Rhythmen und sieht die Musik in Maria, doch bleibt sie ihm an sich fremd. In der Oper lacht er über das „augenbetäubende Geschrei" der Sänger, während er sich mit feinsten Gebärden verständigen kann, seiner Muttersprache, deren Erlernen Sophia und seinem Bruder soviel menschliche Ausdruckskraft verliehen hat. Marias Hände sind „taub", können aber über Berührungen sehr wohl eine Verbindung zu Johannes schaffen. Sie fühlt sich eifersüchtig und ausgeschlossen als Johannes sich mit einem anderen Mädchen in der Gebärdensprache unterhält und gerät in Lebensgefahr als sie mit Ohropax in den Ohren Johannes Welt betritt.

In wenigen, intensiven Momenten gelingt es den beiden, einen Blick in das Erleben des Anderen zu werfen, dann wenn ihre starke Zuneigung ihre beiden Welten nicht aufeinanderprallen läßt, sondern sie sich durchdringen: Johannes Salto vom Sprungturm verwandelt sich in Musik in Marias Bauch, Maria legt die Hände aufs Herz, Johannes liest ihr die Gedanken von den Lippen ab, Johannes singt... Christa Ludwig verwebt das Innere der Beiden auch sprachlich nuanciert ineinander und kann die ganz feinen leisen Töne sichtbar machen. Sie muss gründlich recherchiert haben, um so intensiv über die Gehörlosigkeit schreiben zu können. Die Entstehung des Covers spricht für sich: die Fotos des Jungen und des Mädchens, die im Entwurf noch analog zum Titel durch einen weißen Blitz getrennt sind, sind in der endgültigen Fassung so übereinandergelagert, dass sie harmonisch ineinanderfließen, ein schönes Bild für die Verbundenheit der beiden Jugendlichen.

Am Ende geht es nicht mehr um die Frage, wer hier eigentlich behindert ist, sondern um die Vielfalt der Ausdrucksformen, um die Wachheit der Sinne über das Gewohnte hinaus. Sehr gut!

© Ulrike Schmoller
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