Friedrich Ani: Wie Licht schmeckt. Carl Hanser Verlag, 2002. 192 Seiten, EUR 12,90 (ab 14 J.) |
Aua! Lukas ist eine lange Treppe hinuntergestürzt, als er versucht hat mit geschlossenen Augen durch München zu laufen. Er wollte wissen, wie sich Sonja fühlt, will das Erleben eines blinden Mädchens verstehen. Lukas, der Showman, der sich ziel- und orientierungslos drei Tage lang durch die Stadt treiben läßt, fühlt sich magisch von der drei Jahre älteren Sonja angezogen, die als Kellnerin arbeitet. Im Gegensatz zu ihm, der an der Wirklichkeit vorbeizuleben scheint, kommt sie trotz ihrer Blindheit bestens zurecht. Ihre Aufmerksamkeit ermöglicht Sonja auch ein schnelles Reagieren als Lukas beim Schwimmen zu ertrinken droht, so dass sie ihm gerade noch das Leben retten kann. Sie ist eindeutig die Stärkere und sagt dem Vierzehnjährigen unmißverständlich, was sie von ihm hält. Dennoch kommt es zu einer liebevollen Annäherung der beiden. Doch bereits bei ihrem ersten Ausflug ins Restaurant schiebt sich die Realität unerbittlich zwischen sie. Während einerseits die Menschen Lukas statt Sonja ansprechen, ist sie es, die ihn lehrt, beim Weintrinken genau hinzuschmecken, was für ihn eine ganz neue Erfahrung ist. Plötzlich kommt zu einem feinen Haarriß ihrer Beziehung, es ist keine Verständigung mehr möglich und Sonja schickt Lukas fort. Nur einmal können sie sich noch begegnen als Lukas Sonja in der Abendsonne zeigt, wie echtes Licht schmeckt...
Friedrich Ani lotet diese Liebesgeschichte in ihrer ganzen Problematik ausLukas oberflächliches Dahinleben, das durch Sonjas geschultes Wahrnehmen des Wesentlichen aufgebrochen wird, so dass er auf einmal mitten in der Wirklichkeit steht; aber auch seine Unfähigkeit sich einfühlen zu können, sein falsches Helfenwollen und unnötiges Schonen einer "Behinderten", wo er eigentlich der Hilfsbedürftige ist. Gleichzeitig wandelt sich Sonja von der weisen Erfahrenen zu einer Jugendlichen,deren besondere Schwierigkeiten transparent werden. Erst in der letzten Szene sind sich Lukas und Sonja wirklich ebenbürtig. Diese Balance zwischen Stärke und Schwachsein wurde vom Autor bis in ihre feinen Verästelungen herausgearbeitet.
"Wie Licht schmeckt" vermag dem Leser die Augen zu öffnen für die Wahrheit und das eigentlich Wichtige, denn dadurch dass wir sehen können gehen wir auf Distanz und betrügen uns, wie Sonja sagt.