Christoph Wortberg: Der Ernst des Lebens macht auch keinen Spaß. Beltz und Gelberg, 2014.
ISBN: 978-3-407-81158-5
190 Seiten, EUR 12,99 (ab 14 J.)
In dem Moment, in dem Lenny oben auf der Zugspitze steht und in den Abgrund schaut, in den sein Bruder gestürzt ist, ist er sicher, dass es kein Unfall war.
Aber was hat den Achtzehnjährigen so weit gebracht, dass er sich das Leben genommen hat? Sein großer Bruder, dem immer alles gelang, der Erstgeborene, auf dem alle Erwartungen der Eltern lasteten und der brav seine Rolle spielte, während Lenny in seinem Schatten praktisch unsichtbar war und kaum Beachtung fand? Hinter der Fassade der perfekten Familie mit dem weiß gekachelten Eigenheim zeigt sich ein durch Stillschweigen und negierte Gefühle mühsam aufrecht gehaltenes Kartenhaus, in dem der Vater als Apotheker seine medikamentenabhängige Frau mit Beruhigungsmitteln versorgt. Durch Kontrolle, Moralpredigten und Vorwürfe entstand eine Atmosphäre, die Jakob die Luft zum Atmen nahm. Er wusste keinen anderen Ausweg, dem drohenden Pharmaziestudium zu entgehen als seinen Absturz vorzutäuschen. Lenny rollt Jakobs Gedanken mit Hilfe von Freunden auf.
Er hangelt sich von einem Hinweis zum nächsten bis er die ganze Wahrheit ans Licht gebracht hat und scheut sich auch nicht davor, seine Eltern damit zu konfrontieren.>br>
Problematisch finde ich, dass er seinen Bruder Jakob als Helden bezeichnet, weil er den Freitod gewählt hat. Wenn er tatsächlich den Mut gehabt hätte, in den Abgrund vor sich zu schauen und die Folgen auf sich zu nehmen, „weil er nicht anders kann“, warum hat er sich dann nicht seinem Leben gestellt, sondern diese Aufgabe seinem jüngeren Bruder überlassen. Denn Lenny ist der eigentliche Held, der schließlich das verkrustete Familiensystem aufbricht. Jakob bietet zwar den Anlass dazu, aber er geht einfach. So wirft diese Geschichte viele Fragen auf, womit sie eine interessante Klassenlektüre abgibt.