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Gejagt Peter Carter:
Gejagt.

Verlag Freies Geistesleben, 1997.
354 Seiten, DM 36.-- (ab 14 J.)

Im Zweiten Weltkrieg besetzten die Italiener Savoyen, eine kleine französische Region an der Grenze zu Italien und der Schweiz. Viele Juden brachten sich dort vor den Nationalsozialisten in Sicherheit. Nach der Kapitulation Italiens 1943 zogen die in Savoyen stationierten Soldaten freudig über die Alpen nach Hause zurück und nahmen die jüdischen Emigranten unter ihrem Schutz mit.

Bei diesem Truppenabzug gerät Korporal Salvani durch einen Unfall in eine schwierige Lage: mitten in den Bergen steht er allein mit dem kleinen jüdischen Jungen Judah und sieht sich vor die Aufgabe gestellt, mit ihm zu Fuß über die Berge zu gehen. Die französische Polizei und die Miliz unter der Führung des bestialischen Agenten Palet nehmen ihre Spur auf und verfolgen sie erbarmungslos. Nur durch die selbstlose Hilfe einiger Bergbewohner und durch viele glückliche Fügungen gelingt ihnen immer wieder im letzten Moment die Flucht, bis sie sich tatsächlich in die Schweiz retten können.

"Gejagt" ist ein Buch für ältere Jugendliche und Erwachsene. Es ist erfrischend, dass der Autor nicht den bei geschichtlichen Jugendbüchern gängigen Kunstgriff anwendet, eine jugendliche Nebenfigur zum Alter Ego des Lesers zu machen, sondern einen gestandenen Soldaten in den Mittelpunkt der Geschichte stellt. Dennoch wird es auch Jugendlichen nicht schwer fallen, sich mit dem Helden zu identifizieren und in das Geschehen einzusteigen. Die Erzählhaltung ermöglicht dem Leser aber zugleich eine gewisse Distanz und einen Überblick, als ob er Salvani und Judah auf der Landkarte verfolgen würde. Während der Soldat relativ unbekümmert voranschreitet, erfährt der Leser auch von den grausamen Machenschaften der Nazis, den Widerwärtigkeiten Palets und den grausamen Folterungen, mit denen die Helfer Salvanis und Judahs gequält werden.

Über Salvani, diesem modernen Christopherus, scheint ein besonderer Stern zu wachen. Immer wieder muss er dem Tod ins Auge sehen, und nur der schwierigste Weg scheint noch ein Entkommen zu ermöglichen. Geht er diesen dann aber mutig und vertrauensvoll, etwa in den finsteren Tunnel, in dem ein Wachposten wartet, oder wagt den Sprung über den Abgrund, so kommt ihm das Schicksal auf einmal entgegen. "Schon wieder Glück, dachte er, wobei ihm nie der Gedanke kam, dass man ihm die eine oder andere gute Karte vielleicht einfach deshalb zuschob, weil er in seiner beständigen, einfachen Art etwas Gutes tat" (S.340). Der Leser weiß nie, was im nächsten Moment geschehen wird und ist immer wieder verblüfft, wenn sich das Blatt zum Guten oder Schlechten wendet, was dem Buch eine enorme Lebendigkeit verleiht.

Die Prüfungen, die Salvani besteht, und die Erfahrungen, die er und Judah machen, sind so elementar und bildhaft, dass sie den Leser unmittelbar erreichen. Die Natur in den Alpen ist streng, aber nicht feindlich, und von gewaltiger Schönheit und bietet den Flüchtenden immer wieder Erholungsmomente, in denen auch der Leser aufatmen kann, nachdem er einige Zeit die Unmenschlichkeiten der Verfolger vor Augen hatte. Um diese und vor allem Palet zu beschreiben, verwendet der Autor viele Begriffe aus dem Tierreich, womit sehr eindringlich die Niedrigkeit und die Unfreiheit dieser Menschen zum Ausdruck bringt, die man eigentlich nicht als solche bezeichnen kann. Palet ist so getrieben von seinen Leidenschaften, dass er besessen wird und tatsächlich einen instinkthaften Spürsinn entwickelt wie ein Bluthund. So gelangt er schließlich fast an sein Ziel und der Ausgang bleibt bis zur letzten Seite offen.

© Ulrike Schmoller
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