Michael Morpurgo: Warten auf Anya. Carlsen, 2009.
ISBN: 978-3-551-58146-4
172 Seiten, EUR 12,90 (ab 12 J.)
Ob diese Geschichte wirklich geschehen ist, wird nicht explizit ausgesprochen, die Namen in der Danksagung legen es jedoch nahe. Den Ort Lescun an der französisch-spanischen Grenze, ein Bergdorf in den Pyrenäen gibt es allerdings tatsächlich. Dort spielt sie im Zweiten Weltkrieg unter der Besatzung der Deutschen. Die Hauptperson ist der zwölfjährige Jo, der seinen Vater ersetzen muss, der in Kriegsgefangenschaft ist, indem er die Schafe hütet. Oben in den Bergen trifft er den Juden Benjamin, der dort auf dem einsamen Hof seiner Schwiegermutter auf seine Tochter Anya wartet und jüdische Kinder über die Grenze schmuggelt. Da sich im Dorf deutsche Soldaten einnisten, die die Grenze bewachen sollen, wird Jo zum Mittelsmann. Er bringt die Nahrungsmittel und Informationen nach oben. Gleichzeitig erlebt er, dass die Deutschen und die Dorfbewohner durchaus respektvoll miteinander umgehen und bekommt selbst Kontakt zu einem Unteroffizier, der in dieser Zeit die Nachricht bekommt, dass seine Tochter bei einem Bombenangriff umgekommen ist. Trotzdem führen die Besatzer Hausdurchsuchungen durch und die Kindergruppe wird nur deshalb nicht entdeckt, weil sie in einer verborgenen Höhle haust. Aber dort können sie nicht bleiben. Zusammen mit Jos Vater, der heimgekehrt ist, schmieden die Dorfbewohner den Plan, einen möglichst chaotischen Almauftrieb zu organisieren, während dessen die jüdischen Kinder flüchten können. Der große Teil von ihnen verdankt sein Leben dem Unteroffizier, der im rechten Moment wegschaut, Benjamin und die kleine Léah werden jedoch nach Auschwitz geschickt.
Morpurgo gelingt es, die Grenzen zwischen Guten und Bösen aufzuweichen, so dass der Irrsinn des Krieges deutlich wird. Der Unteroffizier stellt selbst die Frage, warum die Juden verfolgt werden und weiß keine Antwort darauf. Nicht desto trotz bleibt er ein Jäger, der Kinder sucht, um sie in den Tod zu schicken. Durch die wachsende Bedrohung der Flüchtlinge entsteht eine starke unterschwellige Spannung. Die Dorfbewohner nutzen auf eine schlaue Art alle Möglichkeiten des Widerstands. Ein Meisterstück Morpurgos!