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Die Lehrzeit des Lucas Whitaker Cynthia DeFelice:
Die Lehrzeit des Lucas Whitaker.

Verlag Freie Geistesleben, 2000.
136 Seiten, DM 28.-- (ab 11 J.)

Als Lucas seine Lehrzeit bei Doc Beecher antritt, steckt ihn dessen strenge Schwester Mrs. Bunce erst einmal in die Badewanne. Anfang März? Lucas Mutter pflegte seinen Vater immer im Herbst in seine lange Unterwäsche einzunähen und die Nähte erst im Frühjahr wieder aufzutrennen, um ihn vor Kälte und Krankheit zu schützen. Dennoch starb er an der Schwindsucht, genau wie sein Onkel Asa, seine drei Geschwister, seine Mutter und viele andere Menschen im neunzehnten Jahrhundert. Der zwölfjährige Waisenjunge landet bei Uriah Beecher, der Doktor, Apotheker, Barbier und Bestatter zugleich ist, und hilft ihm bei allen anfallenden Arbeiten. Das Operieren mit einfachsten Methoden und ohne Narkose ist zwar qualvoll, kann aber doch oft heilend wirken, während bei der Schwindsucht auch die Ärzte nur verzweifelt zusehen können wie die Patienten dahinsiechen. Die Betroffenen greifen nach jedem Hinweis, der Hoffnung verspricht, und nähren so auch den Aberglauben, dass die ersten Verstorbenen einer Familie Wiedergänger seien, die den Hinterbliebenen die Lebenskräfte aussaugen. Wenn man deren Gräber öffne, das Herz verbrenne und die Erkrankten den Rauch einatmen ließe, könne man sie heilen, lautet ein Gerücht, das sich rasend schnell verbreitet, nachdem es in Einzelfällen nach dieser Prozedur zufällig zu einer Besserung kam. Auch Lucas klammert sich an diesen Strohhalm und ist irritiert, dass Doc Beecher nichts von dieser Methode hält. Geduldig versucht dieser seinem Lehrling wissenschaftiches Denken beizubringen, wobei er ihn sehr ernst nimmt und wichtige Fragen mit ihm bespricht. Er schickt ihn eine zeitlang zu einer erfahrenen Kräuterfrau, lehrt ihn die Bedeutung der Hygiene und weiht ihn in das Geheimnis des Mikroskopierens ein, bis sich Lukas entschließt selbst Medizin zu studieren.

"Die Lehrzeit des Lucas Whitaker" ist ein sehr lebensnahes Buch. Schonungslos beschreibt die Autorin die einfachen Verhältnisse und den Schmerz der Menschen im neunzehnten Jahrhundert, aber auch ihren Zusammenhalt und ihr Mitgefühl. So gruselig manche Stellen wirken, bleiben sie doch auf dem Boden der Tatsachen, auf denen sie beruhen.

Es ist sehr ergreifend zu lesen, wie sich für Lucas die Welt erschließt, weil ihm der Arzt die Augen öffnet, wie er das Alte ablegen kann und in seinem Denken immer freier wird. Sein Ringen zwischen Aberglaube und Fortschritt zeugt von einer gewaltigen Entwicklung.

Ein vielschichtiges authentisches Jugendbuch, das die biographische Situation der Zwölfjährigen spiegelt, die auf sich gestellt ihren eigenen Weg suchen müssen.

© Ulrike Schmoller
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