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Mireille Geus:
Big.
Urachhaus, 2007.
ISBN: 978-3-8251-7561-0
107 Seiten, EUR 11,90 (ab 12 J.) |
Das eigene Zimmer ist ein Ort, an dem man alles so einrichten kann, wie man es am liebsten hat, quasi eine Erweiterung des eigenen Selbst, ein Spiegel des eigenen Ichs. Lizzy mag es gerne chaotisch und sie fühlt sich mit ihren Dingen so verbunden, dass sie sich nur schwer von etwas trennen kann. Sie findet ja alles sofort, was sie braucht. Da platzt ihre neue Freundin Big in ihr Reich hinein und fängt kurzerhand erst einmal an, so richtig aufzuräumen und Lizzys Sachen zu sortieren. Lizzy fühlt sich unbehaglich dabei und versucht sich zu wehren, doch kann sie Bigs Verhalten nicht als groben Übergriff auf ihre Persönlichkeitssphäre einordnen und der überlegenen "Blutsschwester" nichts entgegensetzen. Big weiß genau, was sie tut, sie ist gewieft und mit allen Wassern gewaschen, sie ist widersprüchlich und unberechenbar, sie spielt mit der arglosen, verträumten Lizzy, die sich so freut, endlich eine Freundin gefunden zu haben, ein perfides Spiel, indem sie sie mal verwöhnt, mal bedrängt, sie moralisch unter Druck setzt und sie so wie eine Marionette vor ihren Karren spannt. Lizzy merkt, dass Big sie in der Hand hat, dass diese "zu schnell" für sie ist. Was Lizzy am meisten hasst ist, wenn sie jemand am Kopf berührt, weil sie Sorge hat, ihre Gedanken könnten lesbar werden. Big nimmt ihren Kopf nicht nur physisch in die Klammer, sie gräbt sich tatsächlich in ihre Gedanken ein. Lizzy versucht anzuwenden, was sie in ihrer (Sonder-)Schule lernt: den Dingen ins Auge zu sehen, sagen, was einen ärgert und Distanz zu schaffen. Dennoch wird sie von Bigs Plan mitgerissen, es den Jungen heimzuzahlen und ihnen übel mitzuspielen. Zu spät emanzipiert sie sich von Big, die noch versucht, ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben. Noch als Lizzy auf der Polizeiwache vernommen wird, begeht Big eine weitaus schlimmere Tat, die sie kaltblütig eingefädelt hat. Übrig bleibt ein trauriges, einsames, dickes Mädchen, das weggesperrt wird. Nach einem furchtbaren Jahr steht Lizzy vor der Entscheidung ob sie einen Brief von Big beantworten soll oder nicht. Sie hat durch die durchgemachte Erfahrung viel an Klarheit und Bestimmtheit gewonnen.
Den Rahmen dieser Erzählung bildet das Polizeiverhör, in dem Lizzy, schwankend zwischen Wegträumen und qualvoller Erinnerung, Scham und dem Ringen um die Wahrheit, etwas eingestehen muss, das sie nie gewollt hat, das sie überschwemmt hat wie eine Flutwelle, gegen die alles Anrudern nichts half. Die Autorin findet treffende Bilder für das ganze Arsenal an Gewaltformen, die Big zur Anwendung bringt. Der Strudel dreht sich immer schneller bis es zur Eskalation kommen muss, die Spirale wickelt sich immer weiter nach innen bis - schmerzhaft - der Endpunkt erreicht ist, an dem es nicht mehr weitergeht. Dabei lernt Lizzy buchstäblich, die Dinge besser auf den Punkt zu bringen - für sie ein unglaublicher Aufwachprozess!