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Thomas Jeier:
Sie hatten einen Traum.

Arena, 2006.
ISBN: 3-401-02719-0
330 Seiten, EUR 7,50 (ab 14 J.)

In Audreys Haut möchte man nicht gerne stecken. Sie lebt Anfang der Sechziger Jahre in Birmingham in den Südstaaten der USA - und sie ist farbig. Zwar lebt sie in recht guten Verhältnissen, da ihr Vater sich einen florierenden Laden aufbauen konnte, und sie hat mit ihren neunzehn Jahren eine Arbeitstelle als Schulsekretärin, doch die Rassentrennung macht ihr sehr zu schaffen. Es geduldig zu ertragen, dass sie im Bus hinten sitzen muss und keinen Milk-Shake trinken gehen darf, das kennt sie wie alle Farbigen nicht anders. Aber in letzter Zeit werden die Aktivitäten des Ku-Klux-Clans immer fieser und brutaler. Audrey weiß, dass die Weißen alles mit ihr machen können und dass das Recht immer auf deren Seite steht. Als sie eines Abends allein auf dem Highway unterwegs ist, wird sie von zwei jungen Männern angehalten, die ihr übel mitspielen und sie mit dem Abschleppseil zu Tode schleifen wollen. Ein Polizist verhindert das zwar im letzten Moment, läßt die Täter aber ungeschoren abziehen. Zitternd vor Angst steht Audrey am Straßenrand als Edward sie aufgabelt, ein Mitarbeiter Martin Luther Kings, den sie vom ersten Moment an mag. Nun gerät sie in einen enormen Gewissenskonflikt. Auf der einen Seite fühlt sie sich ihrem Vater verpflichtet, der um seine Existenz fürchtet, wenn die Farbigen sich mit Martin Luther Kings Hilfe gegen die Weißen wehren, gleichzeitig verliebt sie sich aber in Edward und möchte sich am Kampf gegen die Unmenschlichkeit beteiligen. Sie bringt es nicht fertig, sich auf die offizielle Liste der Unterstützer Kings einzutragen und zögert doch zugleich keinen Moment, wenn es darum geht das Leben eines anderen zu retten. Für den Straßenjungen Jay-Jay riskiert sie Kopf und Kragen und kann dabei versteckt die erschütternden Praktiken des Ku-Klux-Clans beobachten. Vor allem die beiden, die sie überfallen haben, sind gefährlich, während ein anderes Mitglied sie mehrmals warnt. Schließlich eskaliert die Bedrohung als ein Brandsatz in den Laden ihres Vaters geworfen wird, und dieser den Kontakt zu ihr abbricht. Nun muss sich Audrey entscheiden, auf welcher Seite sie steht, und sie führt gemeinsam mit Martin Luther King und seinen Anhängern den gewaltlosen Kampf um die Rechte der Farbigen zu einem guten Ende. Audrey wird nicht als Heldin dargestellt, sondern mit all ihren Bedenken und der quälenden Diskrepanz zwischen ihrer Intuition und ihrem Verstand. Ihre Angst um ihr Leben und ihre Ohnmacht angesichts der Diskriminierungen werden spürbar, ihr Ringen um ihre persönliche Gewissensentscheidung. Dem gegenüber steht das Charisma Martin Luther Kings, der mit Überzeugungskraft, Besonnenheit und Gewaltfreiheit eine unglaubliche Bewegung auslösen konnte. Für Jugendliche macht dieses Buch hautnah erlebbar, was erst vor vierzig Jahren in Amerika geschehen ist. Im Nachwort listet der Autor die historischen Fakten auf, so dass Fiktion und Tatsachen sauber getrennt werden können. Spätestens dann, wenn klar wird, dass die Sixteenth Street Baptist Church wirklich in die Luft gesprengt wurde, was vier Mädchen das Leben kostete, stellt sich Erschütterung ein. Dieses Buch läßt sich nicht unbewegt zuklappen.


© by Ulrike Schmoller
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