Iain Lawrence: Die Tochter des Leuchtturmwärters. Freies Geistesleben, 2005.
ISBN: 3-7725-2247-5
250 Seiten, EUR 16,50 (ab 14 J.)
Eine Insel hat ihre natürlichen Grenzen, die ein Entrinnen unmöglich machen. Als Kinder finden Krabbe und Alastair auf der Leuchturminsel, die ihr Vater betreut, alles, was sie sich nur wünschen können: den Strand und das Meer, das sie in einem Boot mit Glasboden erkunden, einen Wald mit geheimen Plätzen, die abenteuerliche Winzelinsel und nicht zuletzt ihren liebevollen Vater Murray, der mit seinen phantasievollen Spielideen die Insel zum Paradies für sie macht. Doch als die beiden wie Zwillinge aufwachsenden Kinder älter werden, kommt zu der physischen Eingeschränktheit eine innere Enge hinzu, die den beiden und auch ihrer Mutter das Leben zur Hölle macht. Murray ist mit der Insel so stark verwachsen wie eine Muschel, die zugrunde gehen würde, wenn man sie von ihrem Platz losreißt, so dass er sich ein Leben auf dem Festland auch nach seiner Pensionierung nicht vorstellen kann. Deshalb bindet er seine Familie - unbewußt und in bester Absicht - an seinen Traum von ungestörter Nähe und nimmt ihr damit die Luft zum Atmen. Alastair zerbricht an seinem Versprechen, sein Nachfolger zu werden, Krabbe wird mit dreizehn schwanger, seine Frau wird zum Zugvogel...
Wie bei einem Puzzlespiel fügt sich durch Rückblenden und auftauchende Erinnerungen die Vergangenheit zu einem Ganzen als die siebzehnjährige Krabbe mit ihrer kleinen Tochter nach Jahren in der Fremde zu Besuch kommt. Krabbes Angst, dass die Insel von Tatiana Besitz ergreifen könnte, bricht immer wieder auf, wenn diese sich gut mit Murray versteht und überraschende Ähnlichkeiten mit Alastair zeigt. Noch einmal erlebt sie die schützende Bindung des kleinen Mikrokosmos Familie so intensiv wie die damit verbundene Unausweichlichkeit. Nicht gehen können, nicht bleiben können - was für eine Qual! Zurück bleibt, äußerlich robust wie ein Leuchturm in der Brandung und doch verletzlich wie das Innere einer Auster, Murray. Krabbe bewältigt den Abschied und beginnt ihr eigenständiges Leben.
Die Ambivalenz der Gefühle, die Verstrickung ineinander und das unbedingte Aufeinander bezogen sein der Kleinfamilie entfalten bei Iain Lawrence ihre ganze seelische Dynamik. Die Bilder und Worte, die er dafür findet, sind feinst ausbalancierte Literatur für Jugendliche ab 14 und Erwachsene.