Ursula Wölfel: Ein Haus für alle.
Carlsen, 2004.
ISBN: 3-551-35350-6
442 Seiten, EUR 9.- (ab 14 J.)
Die Zeitspanne zwischen 1904 und 1945 beobachtet Ursula Wölfel
in Danas Leben. Dana, im engen Hochtal geboren, läuft 1921 einfach von Zuhause
weg, 17 Jahre alt ist sie und sie macht sich auf den Weg ins weit entfernte Ruhrgebiet
zu Rike, Paul und Jan, im Schlepptau ihren treuen Bruder Leo. Sie verliebt sich
in Paul, beide heiraten und dann kommt die Zeit der Nazis, die Machtergreifung
und die Begeisterung im Volk über den Mann, der wieder neuen Schwung ins schlecht
behandelte Deutschland bringt und die Massen mobilisiert. Das Leben im „Haus für
alle" ändert sich. Dass das neue System gravierende Mängel hat, merken einige
der Freunde schon bald, doch Paul fühlt sich wohl bei den Nazis, er steigt Sprosse
für Sprosse auf der Karriereleiter im neuen Staat nach oben. Da macht es sich
denkbar schlecht, dass das Kind von Dana und ihm geistig behindert ist, denn immerhin
ist das ja nun „unwertes Leben" und es gibt ganz klare Regeln, wie man in diesen
Fällen verfährt. Dana schafft es, ihren Robbi vor dem Euthanasieprogramm der Nazis
zu schützen und so erlebt Robbi das Ende des Krieges.
Ursula Wölfel schildert schnörkellos, eindringlich und mit ungeheurer Sensibilität,
wie Dana aus dem Tal ihr Leben meistert und wie sie für Robbi kämpft. Am Beispiel
dieses Einzelschicksals wird deutlich, wie massiv die Naziideologie in einzelne
Beziehungen hineingewirkt hat und dort von einer unglaublich zerstörerischen Macht
war. Das Thema Euthanasie im Dritten Reich wird sehr gern totgeschwiegen, es ist
ein Tabuthema. Dass Ursula Wölfel sich dieses Themas angenommen und vor allem,
wie sie es ins direkt greifbare Leben geholt hat, ist ein erschütterndes Dokument,
aber auch ein unglaublicher Beweis, was Liebe, was Vertrauen bewirken kann. Ein
Glossar und eine Zeittafel im Anhang helfen auch jungen Lesern, den Gesamtzusammenhang
zu erkennen.
Das Buch gehört in jedes Haus, damit es nie mehr zu solchen unglaublichen Morden
kommt. Wer nicht für solche Fragen sensibilisiert ist, ist nicht wirklich gerüstet,
rechtzeitig aufzustehen und „nein" zu sagen. Ein längst schon notwendiges Buch.