Iain Lawrence: Der Herr der Nussknacker.
Freies Geistesleben, 2004.
ISBN: 3-7725-2246-7
240 Seiten, EUR 14,50 (ab 13 J.)
Wer hat nicht schon gesehen wie kleine pazifistisch erzogene
Jungen ihre Butterbrote so zurechtbeißen, dass sie wie Pistolen aussehen? Wie
erlebt ein Kind den Krieg?
Auch der zehnjährige Johnny ist fasziniert von seiner Nussknackerarmee, die ihm
sein Vater, ein Spielzeugmacher, geschnitzt hat. Dieser kann es gar nicht erwarten
nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs endlich an die Front zu kommen. Von dort schreibt
er regelmäßig Briefe an seinen Sohn und legt jedes Mal eine neue kleine Holzfigur
bei. So vergrößert sich Johnnys Armee ständig, und er baut sich bei seiner Tante
auf dem Land, bei der er nun wohnt, ein richtiges Schlachtfeld im Garten auf.
Die Erlebnisse seines Vaters gehen in sein Spiel ein, doch scheinen auch Johnnys
Eingriffe umgekehrt eine Wirkung auf den Kriegsablauf an der Front zu haben. Schon
bald werden die Briefe sorgenvoll und erschütternd und der bis Weihnachten erwartete
Sieg rückt in weite Ferne. Im Dorf treffen die ersten Todesnachrichten ein und
Johnny weiß als Einziger von dem Geheimnis des herumgeisternden Murdoch. Dann
geschieht in der heiligen Nacht das Wunder, dass einen Moment lang die Waffen
schweigen und die Menschen aus den Schützengräben miteinander singen und Weihnachten
feiern.
Für Johnny vermischen sich Spiel und Ernst, denn die Realität des Krieges ist
für ihn erst einmal unvorstellbar. Doch sein Vater nimmt kein Blatt vor den Mund,
das Grauen drängt sich immer mehr ins Bewußtsein, nicht zuletzt durch die Figur
des Murdoch, der immer mehr von einem flüchtigen Geist zu einem wirklichen hilfsbedürftigen
Menschen wird. Der süßliche Geruch von totem Fleisch hängt in der Luft. Der Krieg
wird zum sinnlosen, leidvollen Gemetzel.
Wie wirkt nun so eine Geschichte auf einen elfjährigen Leser (so die Verlagsempfehlung)
von der Butterbrot-Sorte? Werden die Nachrichten aus dem Schützengraben als das
Grauen gelesen, das sie waren, oder mit genussvoller Spannung "reingezogen"? Meiner
Einschätzung nach kann in diesem Alter einerseits die Erschütterung übermächtig
werden, andererseits besteht die Gefahr, dass die Parallelität von Spiel und Tatsachen
im Umkehrschluss falsch verstanden wird. Ab dreizehn Jahren müßte der Abstand
groß genug sein, dass dieses Buch richtig gelesen wird: als klares Nein gegen
den Krieg.