Jane Ray / Julie Gold:
Aus der Ferne.
Verlag Urachhaus, 1999.
32 Seiten, DM 24,80 (ab J.)
Warum muss es auf der Welt soviel Hunger, Krieg und Elend geben?
Aus der Ferne bietet sie ein Bild des Friedens, der Eintracht und der Harmonie.
Betrachtet Gott seine Schöpfung von aussen, scheint sie von Liedern der
Hoffnung und der Liebe widerzuhallen und es ist völlig unverständlich
wie Feindschaft und Not entstehen können. Kommt man den Menschen jedoch
nahe, sieht man ihre Sorgen und Ängste, Tod und Streit, die Hubschrauber
am Himmel und die Panzer auf den Strassen. Die Friedenslieder spielenden Demonstranten
werden abgelöst von einer Militärkapelle, die lebendige bunte Stadt
zerbombt zu Schutt und Asche. Das Mädchen muss zusehen wie seine beste
Freundin mit den Flüchtlingen davonzieht- von der Perspektive her die Illustration,
die am meisten Nähe zeigt. Doch schon bald siegt die Hoffnung, das Leben
kehrt wieder in die Häuser zurück und die beiden Mädchen pflanzen
gemeinsam einen Baum. Aus der Ferne gesehen ist dieser Krieg nur ein winziger
Teil der Ewigkeit gewesen, der die Erde nicht dauerhaft erschüttern kann.
Jane Ray erzählt diese Geschichte in ihrem ausdrucksstarken individuellen
Stil, der eine flächige Malweise mit vielen kleinen Verzierungen durch
Pünktchen und Goldelemente verbindet. Sie beschönigt nichts, zeigt
aber auch nicht zuviel.
Der Text zu "Aus der Ferne" stammt von Julie Gold
und ist unter dem Titel "From a distance" zu einem weltweit bekannten
Lied geworden. Sie schrieb es 1985 unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges und
der Bürgerrechtsbewegung in der Hoffnung auf eine " Welt ohne Gewehre,
Bomben und Krankheiten". Diese Hoffnung kommt sowohl in dem englischen
Text, der am Ende des Bilderbuchs abgedruckt ist, wie auch in der deutschen
Übersetzung in ihrer ganzen Poesie zum Ausdruck. Der Zusammenklang von
Text und Illustrationen ist allerdings voller Widersprüche. Die ersten
Panzer tauchen zu den Worten auf "Es gibt keine Gewehre, keine Bomben",
die "Musikkapelle, die aufmarschiert und Hoffnungslieder spielt, Friedenslieder",
ist eine Militärkapelle, der Luftangriff wird von den Zeilen begleitet
"Gott wacht über uns, Gott sieht uns aus der Ferne" und unter
den Trauernden auf dem Friedhof steht: "Hoffnung über Hoffnung, Liebe
über Liebe erfüllt die Herzen der Menschen". Hier prallen der
fromme Wunsch nach einem harmonieerfüllten leidlosen Leben und die Realität
unerbittlich aufeinander. Eben diese Kluft macht es auch unmöglich, die
Frage nach dem Warum des Krieges zu beantworten, so dass die Antwort dieses
Bilderbuchs vielleicht gerade in der deutlichen Diskrepanz zwischen Wort und
Bild liegt.
Ist Gott tatsächlich so fern, dass er sich die Welt
nur in ihrer entrückten Schönheit betrachtet oder ist er nicht gerade
ganz nah bei denen, die trotz all des Schrecklichen, das sie erlebt haben, Lieder
der Hoffnung und der Liebe in ihren Herzen tragen? Sollte der Blick aus der
Ferne nicht vielmehr einem Blick in die Ferne weichen, wo es eben sehr wohl
hungrige Münder und Mangel gibt? Sind wir nicht gerade dazu aufgerufen,
genau hinzuschauen und Frieden zu stiften, indem wir uns Fremden nähern,
statt uns in Ideale zu flüchten?
"Aus der Ferne" wirft viele Fragen auf, auch
die für welches Lesealter es wohl gedacht sein mag. Trotz der Bilderbuchform
würde ich es erst ab neun Jahren empfehlen, wenn die Kinder von sich aus
das Thema Krieg anschneiden und das Gespräch darüber suchen.