© www.litterula.de

Michael Dudok de Wit:
Vater und Tochter.
Freies Geistesleben, 2003.
ISBN: 3-7725-2238-6
30 Seiten, EUR 13,50 (ab 9 J.)

In der Gattung Bilderbuch hat sich in den letzten Jahrzehnten ein nicht unbedeutender Zweig ausgebildet. Viele Künstler fanden auf der Suche nach einem einträglichen Broterwerb zur Bilderbuchgestaltung, wobei sie natürlich nicht auf ihren individuellen Stil verzichteten und sich auf hohem Niveau verwirklichen wollten. Dadurch entstand eine Bilderbuchkultur, die weit über das Kinderzimmer hinausreicht, die in vielen Fällen dort auch gar nicht hingehört, sondern von Erwachsenen rezipiert wird. "Vater und Tochter" ist eines dieser Werke.

Auf der Grundlage eines Kurzfilms, der sogar den Oskar bekam, entstand dieses Bilderbuch. Düstere Brauntöne in allen Schattierungen und ein nüchternes kaltes Weiß bilden die Stimmung an dem Deich, an dem das Mädchen im blauen Mantel seinen Vater für immer davonrudern sieht, wo es mit seinen Freundinnen, seinem Mann und den eigenen Kindern immer wieder mit dem Fahrrad hinfährt, um dort auch am Ende seinen Frieden zu finden. Die langen Schatten, die harten Umrisse und die Dunkelheit, die paradoxerweise illustriert, wie glücklich sie miteinander waren, werden abgelöst von der hellen Weite der Einsamkeit. Doch das kleine Mädchen, das anfangs winzig und alleingelassen am Deich wartet, hat inzwischen auch ohne den Vater ein eigenes erfülltes Leben gehabt. Umso schöner, dass es ihn nach dem Tod wiedertreffen kann.

Aber warum kehrt er mit seinem Boot nicht zurück? Zwar verabschieden sich die beiden, doch dass es endgültig sein wird, weiß das Mädchen nicht. Wie verstört muss ein Kind sein, dass solches erlebt oder mit fünf, wie vom Verlag empfohlen, davon liest? Immer wieder schaut sie nach ihm aus, doch "der Vater ist nicht zurückgekommen". Was für eine Sehnsucht muss sie nach ihm haben! Dieses Bilderbuch würde ich frühestens einem Neunjährigen in die Hand geben und mit ihm über Abschied und Tod sprechen. Mit den Augen eines Erwachsenen gesehen kann "Vater und Tochter" hingegen als Kunstwerk sprechen und auf allen seinen Ebenen verstanden werden.


© by Ulrike Schmoller
www.litterula.de