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Wie der Schatten eines fliegenden Vogels Mordicai Gerstein:
Wie der Schatten eines fliegenden Vogels.

Verlag Freies Geistesleben, 2000.
32 Seiten, DM 26.-- (ab 9 J.)

"Ich bin der Herr, dein Gott... Du sollst dir kein Bildnis machen." So haben wir das damals das erste Gebot im Konfirmandenunterricht gelernt. Und nun halte ich das Bilderbuch "Wie der Schatten eines fliegenden Vogels" in den Händen, in dem Mordicai Gerstein eine jüdische Legende aus Kurdistan erzählt. Moses wird nach einem erfüllten einhundertzwanzig Jahre währenden Leben von Gott abberufen, weil seine Zeit gekommen ist. Er fleht und bittet noch bleiben zu dürfen, betet, ruft Berge, Sonne und Mond an, für ihn einzutreten, bis er schließlich sein Haupt neigt und zum Sterben bereit ist. Doch keiner der Engel fühlt sich würdig genug, Moses' Seele zu holen. Sammael, der Engel des Todes kehrt heulend und unverrichteter Dinge zurück und nicht einmal als Gott selbst hinabsteigt, will die Seele Moses verlassen. Da holt er sie mit einem Kuss und weint über den Tod dieses großen Menschen bis ihn seine Engel damit trösten, dass Moses' Seele nun ewig bei ihm sein wird.

Mordicai Gerstein hat zu dieser Erzählung urgewaltige, nie gesehene Bilder gemalt. Sie sind inhaltlich auf das Wesentliche reduziert und die Farben strahlen mit einer überwältigenden Intensität. Moses erscheint klein und allein am linken unteren Bildrand und wendet sich dem Himmel zu. Ja, und wie hat Gerstein nun das Problem mit dem ersten Gebot gelöst? Man erkennt es erst auf den zweiten Blick, wie geschickt er aus den Wolken und Gestirnen das Antlitz Gottes bildet, ohne dass es eigentlich vorhanden ist. Es entsteht sozusagen dadurch, dass in dem Nichts etwas anderes ist. Das Auge muss wie bei einer optischen Täuschung erst die Negativform in eine positive verwandeln und kann beliebig hin und her springen. Genial!

Ob Sechsjährige dieses Buch verstehen, wie es der Verlag vorschlägt? Sicher kann ein Drittklässler, der in der Schule das Alte Testament erzählt bekommt, mehr mit diesem großen ernsten Buch anfangen. Vielleicht vermag es auch Menschen zu trösten, die trauern oder selbst dem Tode nahe sind.

© Ulrike Schmoller
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